F O R U M

Steuerrecht Schloss Nordkirchen e.V.

Copyright © Forum Steuerrecht Schloss Nordkirchen e.V.
Vortrags-
Veranstaltung 25 - 05.11.2018

100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland

Anlass der 25. Veranstaltung des Forums Steuerrecht im Schloss Nordkirchen war diesmal keines der vielen speziellen Problemfelder, von denen es im Steuerrecht so viele gibt, sondern ein Jubiläum, das ganz besondere Aufmerksamkeit verdient: 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland!

So herausragend wie der Anlass waren auch die Vortragenden dieses Nachmittags. Das Grußwort sprach der Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen und Schirmherr des Forums, Herr Minister Lutz Lienenkämper. Schloss Nordkirchen stehe für eine ausgezeichnete Ausbildung und zugleich für ein wunderbares Ambiente, betonte Minister Lienenkämper zu Beginn. Nicht umsonst gelte das Schloss auch als „Westfälisches Versailles“. Damit begann der Minister, seinen historischen Bogen zu spannen und startete mit einem gedanklichen Ausflug in die Zeit des französischen Sonnenkönigs Ludwig des XIV. „L’etat c’est moi“ lautete dessen Credo – „Der Staat bin ich“ – zugleich Leitsatz des Absolutismus.

Es sei ein weiter Weg gewesen bis zur Gewaltenteilung. Heute stehe der Schutz des Einzelnen im Mittelpunkt, betonte Minister Lienenkämper. Dazu trage die Finanzgerichtsbarkeit seit Gründung des Reichsfinanzhofs im Jahr 1918 ganz wesentlich bei. Sich einer gerichtlichen Überprüfung zu stellen, sei unerlässlich für die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit des Verwaltungshandelns, denn die Finanzverwaltung lebe vom Vertrauen des Bürgers. Dass die Zahl der finanzgerichtlichen Verfahren stetig sinke, sei ein eindeutiges Indiz für eine klug und ausgewogen handelnde Finanzverwaltung.

 

Nach dem interessanten und unterhaltsamen Grußwort des Ministers ging es weiter mit dem ersten Vortrag des Nachmittags. 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland – wer hätte geeigneter sein können, dieses Jubiläum mit seinen Worten zu würdigen, als der Präsident des Bundesfinanzhofs Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff?

Was Prof. Mellinghoff bot, war zum einen eine spannende Reise durch die Historie des Reichsfinanzhofs und des Bundesgerichtshofs mit all ihren Höhen und Tiefen. Seit Gründung des Reichsfinanzhofs im Jahr 1918 sei Grundlage der Tätigkeit des obersten Steuergerichts der unabhängige gerichtliche Rechtsschutz aller Bürger gewesen. Darüber hinaus habe das Gericht erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Steuerrechts ausgeübt. Ganze Teilgebiete des Steuerrechts seien durch die Entscheidungen des Großen Senats geprägt worden. Auch die wissenschaftliche Betätigung der Richter trage essentiell dazu bei.

Zur Geschichte des Reichsfinanzhofs gehöre allerdings auch dessen Rolle in den dunklen Jahren des Nationalsozialismus, in denen menschenverachtende Urteile gesprochen wurden und es keinen Rechtsschutz für jedermann mehr gab. Mit Nachdruck betonte der Präsident des Bundesfinanzhofs, wie wichtig es sei, daran zu erinnern. Dies gelte gerade in der heutigen Zeit, in der sogar in einzelnen Staaten der Europäischen Union die Unabhängigkeit der Justiz ausgehöhlt und damit die Gewaltenteilung gefährdet werde. Wenn die Justiz nicht funktioniere, funktioniere der Rechtsstaat nicht mehr! Kritisch wies er darauf hin, dass selbst in Deutschland gerichtliche Entscheidungen nicht immer die Beachtung fänden, die sie verdienten.

Prof. Mellinghoff schloss seine Ausführungen mit einem Ausblick: Die zunehmende Internationalisierung des Steuerrechts, der hohe Anspruch auf Datenschutz und insbesondere die schnell fortschreitende Digitalisierung seien die Herausforderungen der Zukunft. Nach den beeindruckenden Worten des BFH-Präsidenten dürfte kein Zweifel bestehen, dass diese Herausforderungen Aufgaben sind, denen sich Prof. Mellinghoff und mit ihm die gesamte Finanzgerichtsbarkeit tatkräftig, kompetent und mit Augenmaß stellen werden.

 

Die vergangenen 100 Jahre haben aber nicht nur für die Finanzgerichtsbarkeit große Veränderungen mit sich gebracht, sondern auch für den Gesetzgeber und die vollziehende Gewalt. „Amtsermittlungsgrundsatz und Risikomanagement / Verfassungsrechtsschutz gegen Steuergesetze“ lautete der Titel des hochklassigen Vortrags, mit dem Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen, Inhaber des Lehrstuhls für Steuerrecht und Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilian-Universität München, anschließend die Zuhörer im Festsaal der Oranienburg fesselte.

Ausgangspunkt seiner Ausführungen war § 85 der Abgabenordnung. Danach sind die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Bei ca. 40 Millionen Einkommensteuerbescheiden im Jahr könne das nur automationsgestützt gelingen, betonte Prof. Drüen. Die Automatisierung sei selbstverständlich kein neues Phänomen - neu und begrüßenswert sei allerdings, dass der Gesetzgeber 2016 durch § 88 Abs. 5 AO endlich den rechtlichen Rahmen für den Einsatz automationsgestützter Risikomanagementsysteme umrissen und explizit das Zugriffsrecht für Amtsträger gesichert habe. Fachlich qualifizierte Mitarbeiter seien nach wie vr unerlässlich. Sie dürften keine bloßen Fütterer und Vollstrecker von Risikomanagementsystemen werden, sondern kreativ denken und handeln. Vor allem sei das Risikomanagement kein Instrument zum Personalabbau! Der Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs bleibe daher unverändert hoch – Worte, die an der Fachhochschule für Finanzen auf große Zustimmung stießen.

Erhebliche Zweifel äußerte Prof. Drüen, ob die in § 88 Abs. 5 AO angeordnete Geheimhaltung der Risikomanagementsysteme einer gerichtlichen Überprüfung standhalten werde, etwa mit Blick auf das Auskunftsrecht betroffener Personen nach § 15 DSGVO. In welchem Umfang gelte die Geheimhaltungsmaxime für das finanzgerichtliche Verfahren und können Gerichte ihren Rechtsschutzauftrag unter diesen Bedingungen überhaupt noch erfüllen? Effektiver Rechtsschutz müsse auch bei geänderten Vollzugsbedingungen gewährleistet sein!

In diesem Zusammenhang wies Prof. Drüen außerdem darauf hin, dass sich infolge des Risikomanagements die Fälle verändern werden, die bei den Finanzgerichten ankommen. Zur Entscheidung stünden zukünftig keine „08/15-Fälle“ mehr, sondern nur noch das, was „im Netz hängen bleibe“. Strukturelle Vollzugsdefizite seien dann kaum noch feststellbar.

Prof. Dr. Christoph Uhländer, 1. Vorsitzender des Forums Steuerrecht, machte in seinen abschließenden Worten ebenfalls deutlich, dass es für die Finanzverwaltung Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft sei, den schwierigen Spagat zwischen Massenverfahren und Einzelfallgerechtigkeit zu bewältigen. Dafür sei eine gute Ausbildung der Steuerbeamten von immenser Bedeutung. Mit jährlich 1000 neuen Studierenden und inzwischen drei Standorten stehe auch die Fachhochschule vor großen Herausforderungen.

Es war ein Genuss, den Rednern dieses Nachmittags zuhören zu dürfen - ein Tag, der allen in besonderer Erinnerung bleiben wird. Ein „kleines“ Jubiläum war die Veranstaltung am 5.11.2018 im Übrigen auch für den Verein Forum Steuerrecht Schloss Nordkirchen, der am 29.10.2008 – also vor fast genau 10 Jahren - mit seiner ersten Vortragsveranstaltung gestartet ist.

Grußwort:

Herr Minister der Finanzen Lutz Lienenkämper
Finanzverwaltung NRW)

Thema:

100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland:
Bestandsaufnahme und Herausforderungen.

Referent:

Herr Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff
(Präsident des Bundesfinanzhofs)

Thema:

Amtsermittlungsgrundsatz und Risikomanagement /
Verfassungsrechtsschutz gegen Steuergesetze.

Referent:

Herr Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen
(LMU München)

Ort:

Fachhochschule für Finanzen NRW - Festsaal Oranienburg

Zeit:

Montag, 05.11.2018

Herr Prof.
Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff

Präsident des Bundesfinanzhofs

 

Herr Prof.
Dr. Klaus-Dieter Drüen

LMU München

Herr Minister der Finanzen Lutz Lienenkämper

Finanzverwaltung NRW