Steuerrecht Schloss Nordkirchen e.V.
100 Jahre Besteuerungsverfahren
Vorbemerkung:
Das Besteuerungsverfahren nach der Reichsabgabenordnung (verkündet am 13. Dezember 1919) und der Abgabenordnung kann in 2019 auf 100 Jahre eigenständiges Verfahrensrecht zurückblicken. Hierbei ist der Begriff der "Veranlagung" noch älter als der Begriff der "Steuerfestsetzung". Bereits § 10 sächs. EStG v. 22. Dezember 1874 lautete: "Eine Vermehrung oder Verminderung des Einkommens während des Jahres, für welches die Veranlagung erfolgt ist, ändert an der einmal veranlagten Steuer nichts.". Zu dieser Zeit hat es noch kein gesondertes Steuerfahrensrecht gegeben. Das sächs. EStG musste das Besteuerungsverfahren selbst regeln; der Begriff "Steuerfestsetzung" wurde nicht verwendet. § 11 sächs. EStG 1874 lautete vielmehr: "Das Einkommen des Beitragspflichtigen wird von Jahr zu Jahr eingeschätzt". Die Rechtsfigur des Steuerverwaltungsaktes war 1874 noch nicht Stand der Rechtswissenschaft. § 23 sächs. EStG bestimmte: "Die Feststellung des Einkommens der einzelnen Beitragspflichtigen erfolgt unter der Oberaufsicht und Oberleitung des Finanzministeriums durch Einschätzungskommissionen." §§ 42 ff. sächs. EStG 1874 regelten das Einschätzungsverfahren.
An diese Ausgangslage knüpfte das preuß. EStG v. 24. Juni 1891 an. Es verwendet ebenfalls den Begriff der "Steuerveranlagung" (z.B. §§ 11, 20 ff. preuß. EStG 1891). § 30 preuß. EStG verwendet für das Verfahren zum Verspätungszuschlag (25 %) den Begriff "Festsetzung". Für die Berechnung der Einkommensteuer selbst wiederum wird noch der Begriff "Einschätzung" verwendet. § 33 preuß. EStG regelte die Bildung von "Veranlagungsbezirken" für jeden Kreis. Hieraus wurden später die "Veranlagungsabteilungen / Veranlagungsbezirke" der Finanzämter. Das Ergebnis der Veranlagung hatte der Vorsitzende der Veranlagungskommissionen jedem Steuerpflichtigen bekannt zu machen (§ 39 preuß. EStG).
Später hatte dann Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, die Lehre vom Verwaltungsakt veröffentlicht. Diesen Gedanken hatten Enno Becker und die Reichsabgabenordnung 1919 in §§ 210 ff. RAO 1919 aufgegriffen (vgl. Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. 1, München 1991, S. 81, 265 sowie Seer, Festschrift BFH, Köln 2018, S. 1724 ff.).
Die Steuerfestsetzung durch Steuerbescheid hat damit ihren historischen Ursprung in der "Einschätzung" und "Feststellung" durch "Einschätzungskommissionen" bzw. "Veranlagungskommissionen". Der Begriff der Feststellung ist heute natürlich §§ 179 ff. AO vorbehalten.
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Am 26.6.2019 hat die 26. Veranstaltung des Steuerforums Schloss Nordkirchen e.V.
stattgefunden. Trotz hochsommerlicher Temperaturen konnten über 140 Gäste ihre Teilnahme
ermöglichen. Herr Prof. Dr. Nöcker (Richter am Bundesfinanzhof -
Herr Prof. Nöcker begann seinen Vortrag unter Hinweis auf ein Zitat von Prof. Dr.
Weber-
Mit Herrn Dr. Suck (LL.M.) konnte das Steuerforum einen Referenten aus der Finanzverwaltung gewinnen, der zur Thematik der "Nichtanwendungsgesetze als Instrument der Steuerpolitik" seine Promotion bei Herrn Prof. Dr. Seer abgeschlossen und in 2017 im Peter Lang Verlag (Bochum) veröffentlicht hat. Gegenstand seiner Untersuchungen waren 166 Nichtanwendungsgesetze in der Zeit vom 1.9.1950 bis zum 31.3.2016. Dr. Suck stellte die Ergebnisse seiner Ausarbeitung anhand der Typologisierung aufgrund gesetzgeberischer Motive und ihrer Wirkungen eindrucksvoll vor. Die verfassungsrechtlichen Aspekte von Nichtanwendungsgesetzen skizzierte Dr. Suck mit Blick auf das Demokratieprinzip, die Gewaltenteilung, die Gewaltenbindung, das Gesetzgebungsverfahren, die Gerichtsorganisation und die richterliche Unabhängigkeit. Er wies darauf hin, dass Nichtanwendungsgesetze auch in Zukunft Teil der steuerpolitischen Realität sind und forderte eine besondere Legitimation durch die Legislative und Transparenz aufgrund der Gewaltensensibilität ein.
RA / FAfStR Dr. Wollweber hat ein eloquentes Plädoyer aus der Sicht des Steueranwalts
gehalten und begann seinen Vortrag mit der Aussage: "Anwälte sind keine Richter"
sowie einer Gegenüberstellung der unterschiedlichen Positionen des Anwalts, des Richters
und des Beamten. Für den Anwalt erkannte Dr. Wollweber insbesondere in der Actio
und Parteilichkeit wesentliche Handlungsparameter. Die Arbeit im anwaltlichen Mandat
erfordere "harte Arbeit am Sachverhalt" und eine "Gesamtstrategie". Dr. Wollweber
betonte, dass gem. § 55 LBG NRW Beamte zur unparteiischen und gerechten Amtsführung
verpflichtet sind. Sodann reflektierte Dr. Wollweber diese Ausgangslagen für die
jeweiligen Stationen eines finanzgerichtlichen Verfahrens. Besondere Handlungsoptionen
wurden vorgestellt und aus anwaltlicher Sicht bewertet (z.B. Akteneinsicht, Vertagung,
Öffentlichkeit, Beweisantragsrecht, Sach-
Begrüßung: |
Prof. Dr. Christoph Uhländer |
Thema: |
Die Änderungen der AO im elektronischen Besteuerungsverfahren |
Referent: |
Prof. Dr. Gregor Nöcker |
Thema: |
Das Nichtanwendungsgesetz als Instrument der Steuerpolitik |
Referent: |
Dr. Jendrik Suck - |
Thema: |
Rechtsschutz im Steuerrecht aus Sicht der Beratungspraxis |
Referent: |
RA / FAfStR Dr. Markus Wollweber |
Ort: |
Fachhochschule für Finanzen NRW - |
Zeit: |
Mittwoch, 26.06.2019 |
Herr Prof.
Dr. Gregor Nöcker
Richter am Bundesfinanzhof (X. Senat)
Herr
Dr. Jendrik Suck -
SGL Finanzamt GKBp Herne
Herr RA / FAfStR
Dr. Markus Wollweber
Partner Streck/Mack/Schwedhelm